Er ist ein Tausendsassa, ein kreatives Mastermind und eine Stilikone der dänischen Mode: Henrik Vibskov entwickelt mit irrwitzigem Aufwand surreale Universen, wenn es darum geht, seine neue Kollektion zu präsentieren. Kennern sind Fashion Happenings wie ‚The Transparent Tongue‘, ‚The Shrink Wrap Spectacular‘ und ‚The Spaghetti Handjob‘ unvergesslich. Kein Wunder, spielten hier doch eine riesige, mit Luft gefüllte Zunge, eine Installation mit weißen Trommeln oder diverse Verweise auf die beliebteste aller Pasta-Sorten eine Hauptrolle – eher ungewöhnlich für eine Branche, in der anspielungsreicher Humor zumeist unter ferner liefen läuft.
2001 vom renommierten Londoner Central Saint Martins College abgegangen, ist Vibskov schon ein alter Hase im Fashionbiz. Nichtsdestotrotz überschwemmt er sein Publikum unablässig mit einer Druckwelle kreativer Energie. Seit Kindertagen spielt er Schlagzeug, tourte schon mit Bands wie Trentemøller. Es folgte das eigene Musikprojekt Mountain Yorokobu. Er hat Theaterkostüme entworfen und in Museen wie dem MoMA PS1 in New York und dem Pariser Palais de Tokyo ausgestellt – keine Mode, sondern Kunst, genauer: Readymades und Skulpturen. Seit 2003 präsentiert er seine Kollektionen regelmäßig in Paris, seine Schauen zur Copenhagen Fashion Week sind Heimspiele, immer gesäumt von hunderten Fans, und genießen in der dänischen Hauptstadt Kultcharakter.
Hier trafen wir ihn auch anlässlich der Präsentation seiner neuen Kollektion für Frühjahr Sommer 2017. Mit ‚The Salami Kitchen‘ verleiht Vibskov dem Begriff Fleischbeschau eine ganz neue Bedeutung. Er lässt nicht nur die namensgebenden Salamis an großen Ständern baumeln, es treten auch vier schwergewichtige Metzger auf. Die Metzger sind aus Fleisch und Blut, die Würste hingegen aus Wolle gefertigt. Zum Glück. So müssen die Models, die diese stilisierte Wurstküche ein ums andere Mal umrunden, dies wenigstens nicht in Salami-Duft tun. Die neue Kollektion, der das Spektakel gilt, ist übrigens von asiatischem Kampfsport inspiriert. Körperbeherrschung, innere Balance und Selbstdisziplin trifft auf moralisch umstrittene und doch allzu menschliche Gelüste – eben wie im echten Leben!
Wie bist Du auf die Idee mit den Salamis gekommen?
HV: Die Idee entstand, als ich eine Tapete für die Art Cologne entwickelte. Dabei kam mir der Gedanke, eine große Salami-Fabrik zu kreieren. Dänemark exportierte früher eine rote, ziemlich künstlich aussehende Salami, die mit vielen chemischen Zusatzstoffen produziert wurde. Heute isst keiner mehr diese Wurst. Im Moment sind die Kopenhagener eher auf gesundes, organisches Essen aus. Zudem ist die New Scandinavian Cuisine ein großes Ding hier. Einer meiner Nachbarn ist das Noma (gilt als eines der besten Restaurants weltweit, d. Red.), wo man ja auch noch aus einem Häufchen Staub ein sterneverdächtiges Gericht zaubert. (lacht)
Sollen die Salamis also nicht nur als ein humorvolles, sondern auch als ein kritisches Statement zu unseren Ernährungsgewohnheiten betrachtet werden?
HV: Ja, denn wenn ich mir die extremen Unterschiede in der Welt vor Augen halte, komme ich nicht umhin, auch einen kritischen Blick auf unsere Nahrungsmittelindustrie zu werfen. Und mich zu fragen: Werden wir in 50 Jahren noch Fleisch essen? Das ist einfach eine Frage, die ich für spannend halte und die ich so gerne an mein Publikum stellen möchte.
In der Kollektion selbst sieht man viele asiatische Einflüsse.
HV: Ja, ich beschäftige mich gerade mit asiatischen Kampfkünsten. Daher ist die gesamte Kollektion auch von asiatischen Schnittführungen geprägt. Du findest Anleihen an Kimonos, Kampfanzüge und Arbeitsbekleidung. Dieser Look mischt sich jedoch mit einem Sci-Fi-Blade-Runner-Einfluss, sonst wäre er mir zu eindimensional.
Ist Asien gerade Deine Lieblingsdestination?
HV: Nein, nicht unbedingt. Wir verkaufen dort zwar sehr gut, aber das steht ja auf einem anderen Blatt.
Du überschreitest oft die Grenze zwischen Mode und Kunst. Hast Du je darüber nachgedacht, nur noch Kunst zu machen?
HV: Ich mache viele unterschiedliche Sachen, darunter auch viel Musik. Länger noch, als ich als Modedesigner arbeite, spiele ich Schlagzeug. Manche Leute aus dem Musikbereich wissen nicht einmal, dass ich auch Mode und Kunst mache. Ich möchte mich ungern festlegen. Und wenn ich zum Beispiel nach New York schaue, wo es so unendlich viele Künstler gibt, geht mir der Kunstbetrieb schon ein bisschen auf die Nerven. Manches, was auf dem Kunstmarkt ist, hat Relevanz, anderes nicht. Als guter Künstler musst Du einfach einzigartig sein, um Dich abzuheben.
Du betrachtest Dich also doch eher als Modedesigner?
HV: Ich glaube nicht, dass Mode als Kunst gehandelt werden sollte. Vielleicht wäre ich ein guter Künstler geworden, aber nun, da ich auch Mode mache, ist es einfach schwierig, als reiner Künstler wahrgenommen zu werden.
Du zeigst Deine Kollektion in Paris und auch hier, in Kopenhagen. Warum in diesem wesentlich kleineren Umfeld? Machst Du das aus Gründen der Heimatverbundenheit oder steckt da noch mehr dahinter?
HV: Natürlich ist es schön, weil es ein Heimspiel ist. Das Studio ist hier, und die Show mit allen Mitarbeitern und Freunden zu organisieren macht besonders viel Spaß.
Vielen Dank für das Gespräch!