Helsinki im Winter. Draußen liegt Neuschnee, die Sonne strahlt von einem tiefblauen Himmel. Dennoch sind die Tage kurz. Bald wird es dunkel und wieder Zeit, die Sauna vorzuheizen. Was gibt es Schöneres an einem solchen Tag, als eine tolle Geschichte erzählt zu bekommen? Da sind wir zum Glück an die Richtigen geraten. Paola Ivana und Pirjo Suhonen sind Meisterinnen des Storytelling.
Seit fast zwanzig Jahren gilt das Schwesternpaar mit seinem Label Ivana Helsinki als die Speerspitze der finnischen Mode. Ihr Kultstatus auch fernab der Heimat findet seine Begründung nicht zuletzt in den Geschichten, Konzepten und Filmen, die die beiden blonden und blauäugigen Mode-Aficionados stets zu ihren Kollektionen lancieren. Tatsache ist: Ivana Helsinki-Kollektionen werden seit zwei Jahrzehnten weltweit verkauft und kein anderer Finne ist Teil des Pariser Schauenkalenders. Dennoch haben die Suhonen-Schwestern einen radikalen Schritt gewagt. Warum das so ist, erzählen sie uns in ihrem Studio, bei einer Tasse Tee.
Ihr habt das Prinzip ‚Kollektion‘ abgeschafft. Was ist der Hintergrund?
Ja, das stimmt. Wir haben unsere Herangehensweise an die Kollektionszyklen und unseren Ansatz, wie wir Mode präsentieren wollen, total verändert. Statt wie andere Designer zwei oder vier Kollektionen pro Jahr herauszubringen, hatten wir die Idee, jede Woche drei Dinge zu lancieren. Das Neue daran ist, dass es sich dabei nicht zwangsläufig um Mode handelt. So kann es vorkommen, dass wir in einer Woche ein Kleid, ein Tablett mit einem unserer ikonischen Drucke und ein Konzertevent vorstellen. Dinge also, die alle unterschiedlich sind, aber dadurch in Verbindung treten, dass sie unserer Welt entstammen.
Wie weit ist die Spannbreite?
Es gibt für uns diesbezüglich keine Beschränkung! Wir interessieren uns für so viele Dinge und fühlen uns daher in der Kunstwelt genauso zu Hause wie in der Musik- und der Gastroszene. Wenn wir etwas präsentieren, kann das also ein Gig sein – oder eine Ausstellung. Alles ist möglich! Wir haben schon Bier-meets-Schokoladen-Tastings angeboten. Also wirklich alles, was du dir vorstellen kannst.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen?
Erwachsen ist das Ganze aus dem Gefühl heraus, jeder hat eigentlich schon alles, was er braucht. Wir leben in einer Welt des Überflusses. Die Schränke sind voll, es besteht kein akuter Bedarf, sich regelmäßig viele neue Dinge zu kaufen. Schöne Erlebnisse jedoch, die man mit Freunden teilt, davon kann man eigentlich nie genug haben. Sie machen das Leben aus!
Also eine Konsumkritik?
Schon. Nach zwanzig Jahren im Modebiz hatten wir das Gefühl, ein Statement abgeben zu müssen. Es ist verrückt, die Anzahl der Kollektionsteile immer weiter zu steigern, in der Hoffnung, noch mehr zu verkaufen. Von 50 auf 100, dann auf 150. Von zwei auf vier auf sechs Kollektionen im Jahr. Wer braucht 400 neue Kleidungsstücke im Jahr? Niemand! Bitte kauft nicht so viel. Kauft lieber weniger und schätzt das, was ihr konsumiert. Das ist unsere Botschaft.
Wie sieht das aus, wenn ihr eine Veranstaltung präsentiert?
Wir organisieren alles: Wir überlegen uns ein tolles Event, wie zum Beispiel einen Glasbläserlehrgang. Dann kümmern wir uns um das ganze Drumherum. In anderen Fällen, wie beispielsweise bei Konzerten, verkaufen wir die Tickets, organisieren die Touren – was auch immer. Das ganze Jahr über verfolgen wir genau, was kulturell gerade los ist. Manch einer würde sonst das eine oder andere Event wohl verpassen. Somit helfen wir nicht zuletzt unkommerzielleren Veranstaltern, mehr Aufmerksamkeit zu bekommen.
Wie wird das von den Fans eurer Mode wahrgenommen?
Wir bekommen gutes Feedback. Viele sagen, dass sie die einzelnen Kleidungsstücke, die wir vorstellen, viel besser wahrnehmen können. Und wir bekommen viele tolle Anregungen für Veranstaltungen, die wir ganz spontan umsetzen können.
Gibt es trotzdem einen roten Faden, etwas, das alle Entwürfe zusammenhält?
Ja, wir suchen uns jedes Jahr ein Thema, das wir verfolgen. In diesem Jahr heißt das Motto ‚Animal Rights‘, also Tierrechte. Wir haben rumänische Straßenhunde fotografiert und aus den Bildern einen Druck entwickelt. Letztes Jahr hieß das Motto ‚Time passes by‘, da wurden Kindheitserinnerungen, die ja jeder von uns hat, eingebracht. Es ging aber nicht nur darum, dass sich manche Dinge ändern, sondern auch um das, was bleibt: der Duft von frischem Apfelkuchen zum Beispiel. Oder ein Song, der es schafft, dich immer wieder in eine bestimmte Stimmung zu versetzen.
Was macht ihr im kommenden Jahr?
Da wird das Thema ‚Steine und Muscheln‘, das ist aber nur ein Arbeitstitel. Wir folgen ja keinen Trends, arbeiten eher wie Künstler. Apropos: Paola hatte gerade ihre erste große Soloausstellung in der Kunsthalle hier. Sie hieß ‚Love on the Road‘ und war ihrer Fotografie und den experimentellen Filmen gewidmet. Paolas bislang größte Ausstellung.
Vielen Dank für das Gespräch!
Fotos: Thekla Ehling