Wenn etwas eigentlich vollkommen normales revolutionär scheint, gibt es ein Problem. Das Problem der stereotypischen und teils unrealistischen Schönheitsideale im Modesystem ist nicht neu, liegt aber scheinbar tief. Denn als Rihanna im Herbst dieses Jahres ihre Savage x Fenty Show über Amazon Fashion streamte, ging ein Raunen durch die Welt. Hier liefen nicht ausschließlich gestählte Gazellen-Körper durch den Screen. Nein, hier tanzte sich Body Diversity par excellence in die Herzen der Zuschauer. Normale Körper, ja normal (!) – heißt alle Formen und Größen –, waren hier mit müheloser Selbstverständlichkeit dabei. Ein hoffnungsvoller Ausblick auf Body Neutrality.
Aus Body Inclusivity wird Body Neutrality
„Her body unleashed. They call her a savage. A gun. A beast“, heißt es zu Beginn der Savage x Fenty Show, in der sich Tänzerin Parris Goebel lasziv – natürlich in sexy Savage x Fenty Unterwäsche – bewegt. Es ist ein gänzlich anderes Frauenbild, dass die einflussreiche Musik- und Fashion-Ikone uns mit ihrer Kollektion präsentiert. Ein deutlich selbstbewussteres Frauenbild, das dem bekannten und überholten Victoria’s Secret Image entfernter nicht sein könnte. Denn Parris, die übrigens die gesamte Show choreografiert hat, gilt nach den Standards der Mode- und Lingerie-Branche als ‚Plus Size’. Doch die Inklusivität von verschiedenen Körperformen macht bei Frauen nicht Halt. Erstmalig – und das ist das Revolutionäre daran – zeigt Rihanna zum Launch ihrer Men’s Underwear Linie Body Positivity und Inclusivity für Männer. Dass auch männliche Körper in ‚all shapes and sizes’ kommen, ist selbstverständlich, aber leider nicht allgemein repräsentiert und offen kommuniziert. Ein Blick durch Rihannas Augen offenbart: Es gibt noch viel zu tun!
Tänzer Dexter Mayfield präsentiert selbstbewusst die neue Pyjama-Wear, während Model Steven Green im Onlineshop, allein durch das Tragen einer Boxershorts, vielen Männern Hoffnung und Mut gibt. Ein Twitter-User schrieb dazu: „Never in my adult life have I seen a male model that has a similar body to mine. I feel… almost emotional? Like I finally can buy something I saw and want and KNOW it was made for people like me in mind.“ Er verdeutlicht damit, wie selten dieses Männer-(Körper-)Bild repräsentiert wird. Es musste erst eine hauptsächlich weibliche ausgerichtete Dessous-Linie kommen, um das lang erwartete Bild von Männern in Übergröße in die Mainstream-Medien zu bringen.
Von Size Zero bis 3XL?
In der Ready-to-Wear-Szene der Women’s Kollektionen ist das ‚neue’ Körperbild bereits angekommen – wenn auch noch verhalten. Aber feiern wir auch die kleinen Erfolge, denn sie bedeuten Wandel und Wandel ist gut, denn das heißt: Es tut sich etwas.
Models Ashley Graham, Jilla Kortleve (das erste Curvy Model, das nach über zehn Jahren für Chanel lief), Precious Lee, Akon Adichol, Alva Claire und Paloma Elsesser sind bekannte und frische Gesichter auf den Runways und stechen nicht nur mit ihrer Schönheit, sondern mit ihrer Körper-Positivity heraus. Schließlich gehören sie – traurigerweise – mit ihren Kurven immer noch zur Minderheit.
Fendi buchte nun zum zweiten Mal in Folge Plus-Size-Models. Salvatore Ferragamo macht sein Plus-Size-Model Debüt zur FS21-Saison. Zur selben Zeit liefen bei Versace insgesamt drei Plus Size Models – ebenfalls zum ersten Mal. Früher undenkbar. Auch Jacquemus zeigte uns, dass seine Mode keine 90-60-90-Maße fordert. Ein wichtiger Faktor. Denn Repräsentation auf dem Laufsteg allein reicht nicht, wenn die Ware im Shop nicht in fortführenden Größen angeboten wird. Umgekehrt bieten viele Marken Plus-Size-Größen an, casten aber keine Models in diesen Kleidergrößen – ob für dessen Onlineshops oder Runways. Viele vertikale und mittelmodische Unternehmen sowie spezialisierte Onlineshops wie Happy Size sind den Luxushäusern diesbezüglich schon weit voraus. Savage x Fenty bietet übrigens Größen 32A bis 42H bei BHs und XS bis 3XL bei Unterwäsche und Nachtwäsche an.
Chancen für die Zukunft
Representation matters – das hat Rihanna uns dieses Jahr mehr als deutlich gemacht und ebnete scheinbar ganz mühelos den Weg für Mainstream Body Neutrality. Wenn mehr Unternehmen es einer Rihanna nicht nur nachmachen würden, sondern von vornherein so denken wie sie, gibt es Hoffnung, dass es eines Tages solche Texte wie diese nicht mehr geben muss. Texte, in denen besprochen wird, wie revolutionär es doch ist, alle Körpertypen mit Selbstverständlichkeit zu integrieren.
Fotos: Imaxtree